Stammdaten – die heiße Kartoffel der Logistik
09.12.2024 – Seit Beginn meiner beruflichen Laufbahn höre ich immer wieder, wie sehr Unternehmen unter der schlechten Stammdatenqualität in der Logistik leiden und wie dringend dieses Thema angegangen werden muss. Insbesondere die Stammdaten für Be- und Entladeanforderungen sind für alle Beteiligten – Verlader, Spediteure und Warenempfänger – eine Qual.
Doch konkrete Maßnahmen und spürbare Verbesserungen? Ich sehe wenig davon. In den letzten 20 Jahren hat sich gerade im Bereich Be- und Entladeanforderungen nichts getan. Verlader, Logistikdienstleister und Warenempfänger: alle arbeiten in ihren eigenen Silos, die nicht miteinander kommunizieren. Wie auch, wenn bisher noch keine Standards definiert wurden und die Kommunikation seit Jahrzehnten gleich abläuft.
Kollaboration ist der Schlüssel
Um Stammdaten in der Logistik nachhaltig zu optimieren, ist die Zusammenarbeit innerhalb des Lieferkettennetzwerks unerlässlich. Lieferanten mit ihren Kunden, Verlader mit ihren Spediteuren, Lagerdienstleister, Industrieparks mit Industrieunternehmen – alle müssen an einem Strang ziehen. Allerdings sehe ich in Europa viel zu wenige dieser Initiativen und kaum welche im Bereich des Datenaustauschs. Auf dem Papier mag es gute Ansätze geben und Millionen Euro wurden in Richtlinien und Konzepte investiert, Hunderte von Seiten geschrieben. Aber konkrete Umsetzungsprojekte sind bisher Fehlanzeige.
Fünf Einwände, oder doch eher "gängige Ausreden" warum man das Problem unstrukturierter und veralteter Stammdaten für Be- und Entladeanforderungen in der Logistik nicht in Angriff nimmt
Stattdessen höre ich von Unternehmen oft sehr ähnliche, vermeintliche Argumente, warum sie das Stammdatenproblem gerade nicht angehen können. Es zeichnen sich geradezu universelle Muster ab. Wie eine heiße Kartoffel wird das Thema Stammdatenoptimierung hin- und hergeworfen, bis es endlich runterfällt. Hier meine persönliche Top 5 Liste mit meinen Kommentaren und Hinweisen.
- „Wir haben eine Wirtschaftskrise.“
Alleine der Satz hat eine lähmende Wirkung und wird universell für alles genutzt, was nach Aktion und Veränderung klingt. Dabei erhöht sich in kritischen Zeiten der Druck nach Kosteneffizienz und Optimierung. Stammdaten sind dabei eine schnell umsetzbare „low hanging fruit“, die wenig IT-Ressourcen benötigt. Vor allem, wenn Mitarbeitende viel Zeit und Aufwände in E-Mails und Telefonate stecken, um relevante Lieferinformationen weiterzugeben oder Ursachen zu klären, wenn wieder ein LKW abgewiesen werden musste. Gerade in den wirtschaftlich angespannten Situationen gilt es für die Unternehmen Aufwände für nicht wertschöpfende Tätigkeiten zu reduzieren. Dazu gehört etwa auch die manuelle, mühsame Verarbeitung von Logistikanforderungen für Frachttender. Krisen sind immer auch Chancen, temporäre Rückgänge setzen immer auch Ressourcen bei Arbeitskräften frei. Man muss nur wissen, wie man sie effektiv nutzen kann!
- „Wir implementieren SAP S/4HANA.“
Wer denkt, SAP S/4HANA bräuchte keine strukturierten Stammdaten für logistische Anforderungen, täuscht sich leider. In S/4 HANA gibt es die gleichen Freitextfelder für Logistikbedarfe, die auch R/3 hatte. Wer bei der Implementierung von S/4HANA diese Stammdaten nicht auf dem Radar hat, wird keine Informationsgrundlage für relevante Prozesse im TMS oder Yard Management haben. Genau wie bisher. Das wäre also keine Verbesserung – nur das Weitertragen des (schlechten) Status Quo in eine neue Umgebung.
- „Wir brauchen keine Daten, unsere Spediteure wissen alles.“
Es gibt tatsächlich Spediteure, die alle Be- und Entladeanforderungen kennen und keine Informationen von ihren Kunden benötigen. Und schon gar keine strukturierten Informationen. Wenn Sie eine solche Spedition im Einsatz haben, hegen und pflegen Sie sie am besten, denn sie ist unbezahlbar. Allerdings merken Sie das wahrscheinlich an den Kosten. Aufgrund der Abhängigkeiten, sollten Sie in diesem Fall besser nicht versuchen, Ihre Transporte auszuschreiben: ein Wechsel des Transportunternehmens könnte tödlich für Ihre Transportzuverlässigkeit sein und Kundenbeschwerden wären vorprogrammiert. (Und falls Sie es doch einmal bräuchten, so findet sich sicher irgendwo eine Excel-Tabelle, ein PDF-Dokument, das Sie hinzuziehen können.) Was kann da schon schiefgehen?
- „Wir haben alle weder Beschwerden wegen fehlender Daten noch besondere logistische Anforderungen.“
Tatsächlich? Jedes Unternehmen hat bestimmte Anforderungen für das Be- oder Entladen. Kein Betrieb würde dem Spediteur sagen: Kommt wann und wie ihr wollt. Es gibt zumindest Öffnungs- und Schließzeiten, Standorte der Ladestellen, Anmeldeverfahren und oft auch Sicherheitsanforderungen. Dieses Minimum an Anforderungen gilt für jeden Verlader oder Warenempfänger. Und es gibt noch mehr, je komplexer die Branche ist. Manchmal werden LKWs zurückgewiesen, weil der Spediteur oder Fahrer etwas nicht wussten, was sie hätten wissen müssen. Oft fallen dann Standgelder an, die Planung gerät durcheinander und es muss ein zweites Mal angeliefert werden.
- „Keine Zeit für Stammdaten. Das soll die KI machen.“
Digitale Projekte, die die Grundlagen ignorieren, sind erfolgsgefährdet. Jeder weiß: Ein schlechter analoger Prozess wird zu einem schlechten digitalen Prozess. Und dann soll die KI am Ende die Rettung bringen. Doch was genau soll die mit den Daten machen? KI-Lösungen brauchen strukturierte Daten – sie machen die Daten nicht strukturiert. Wer also hofft, dass KI das jahrzehntealte Problem der schlechten Stammdatenqualität beheben wird, dem kann ich nur sagen: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Es ist an der Zeit, die Ärmel hochzukrempeln. Die Optimierung der Stammdatenqualität in der Logistik ist eine Herausforderung, die nur gemeinsam bewältigt werden kann. Gemeinsam heißt für die Supply Chain Unternehmen, die Verantwortung für korrekte Informationen übernehmen und diese digital verfügbar machen. Es ist an der Zeit, Scheinargumente beiseite zu schieben und aktiv zu werden. Nur so können Effizienz, Transparenz und Resilienz in der Lieferlogistik verbessert werden. Wer von KI-gestützter Optimierung in der Logistik träumt, muss zuerst den Friedhof der unstrukturierten Stammdaten aufräumen. Oder in den Worten von Sherlock-Holmes: „Es ist ein großer Fehler, zu theoretisieren, bevor man Daten hat. Man fängt unweigerlich an, die Fakten zu verdrehen, um sie den Theorien anzupassen, anstatt die Theorien den Fakten anzupassen.“